Die
Inspiration hierzu kommt aus Wolfgang Kayser Kleine Deutsche Versschule (sehr empfehlenswert), wo das Gedicht
ebenfalls, wenngleich etwas trockener, analysiert ist.
Singet leise, leise, leise…
Singet leise, leise, leise,
Singt ein flüsternd Wiegenlied;
Von dem Monde lernt die Weise,
Der so still am Himmel zieht.
Singt ein Lied so süß
gelinde,
Wie die Quellen auf den Kieseln,
Wie die Bienen um die Linde
Summen, murmeln, flüstern, rieseln.
(“Wiegenlied”
von Clemens Brentano, 1852)
Verführen möchte ich Dich, wenn ich darf, in die geheimnisvoll erotische Stimmung dieser Verse. Flüstere leise, leise “süß gelinde” und spüre die angenehm magische Wirkung in Deinem Munde. Lausche dem “Summen, murmeln, flüstern, rieseln”, diesem wundersamen Hell-Dunkel - dem “Chiaroscuro”, würde der Maler sagen.
“Singet leise, leise, leise”, so beginnt das Wiegenlied, indem es sich in das Metrum der Vierfüßigkeit (Vierhebigkeit) hineinschaukelt. Nun - Metrum ist ein kaltes Wort. “Singet leise, leise, leise”: Das ist eine magische Beschwörung, eine romantische Mantra, eine Evokation. Noch einmal beginnt das Lied mit der Aufforderung “Singt”. Das fehlende “e” (“singt” statt “singet”) jedoch macht die Aufforderung ein wenig bestimmter, der Vers zielt auf seine stärkste Betonung, das “Wie” in “Wiegenlied”, und hier hast Du die erste Kadenz.
Fühlen wirst Du in dieser Strophe, dass auch der vierte Vers, ganz wie der zweite, seinen starken Akzent auf den vierten Versfuß(“Hi” von “Himmel”) setzt. Und dies ist wiederum eine Kadenz und ein Abschluss der Strophe, die sich somit in zwei Segmente teilt. Zwischen den beiden Kadenzen, zwischen dem “Wiegenlied” und dem “Himmel zieht” leuchtet der Mond mit seinem runden “o” auf dem zweiten Fuß des dritten Verses hervor. Höre einmal, wie das “o” hier so nobel glänzt zwischen den vielen “i” und “ie” Lauten.
Wieder nun, am Anfang der nächsten Strophe, die Aufforderung “Singt” und nun erst, beim dritten Male, haben wir den langen Atem, um die Strophe als eine einzige lange Melodie bis “rieseln” zu singen. Der erste Vers nämlich zieht vom “gelinde” in sanftem Legato hinüber zum “Wie” des zweiten Verses, und sowohl der zweite Vers als auch der dritte schaukeln, wie eine Wiege, zwischen ihrem zweiten und vierten Fuß hin und her (“Quellen” - Kieseln”, “Bienen” - “Linde”), hin und her, hin und her - ein Gefühl der Trance - und die verrieselt nun in den Klängen der Nacht, in den Naturlauten, in dem Summen, dem Murmeln…, flüstern…, rieseln…
Du
bist der Evokation gefolgt, hast leise, leise gesungen, bis Du Dich selbst in
der erotischen Natur aufgelöst hast. Das
“Summen, murmeln, flüstern, rieseln” ist die magische Antwort auf das “leise,
leise, leise” des allerersten Verses.
Der Aufbau der Melodie folgt hier dem Muster einer sechzehntaktigen
Periode in der Musik: zwei Takte, und
zwei Takte, und vier, und acht - bei
Brentano: ein Vers, und ein Vers, und zwei, und vier. Es ließe sich so darstellen:
Singet leise, leise, leise,
Singt ein flüsternd Wiegenlied;
Von dem Monde lernt die Weise, der
so still am Himmel zieht.
Singt ein Lied so süß gelinde,wie die Quellen auf den Kieseln, wie die Bienen um die Linde summen, murmeln, flüstern, rieseln.
(Nicht
die metrischen, sondern die rhythmischen Akzente habe ich hervorgehoben. Abstellen sollst Du Dein Metronom, um ihnen
zu lauschen, den Klängen der Nacht.)
Cradlesong
Softly, softly, softly croon,
Croon a whispered lullaby,
Learn its cadence from the moon,
Slow in heaven drifting by ...
Lisp a little lilting fable:
Bees about the honeysuckle,
Silver springs upon the gravel
Mumble, murmur, whisper, trickle.
translated by Herman Salinger
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