Saturday, July 29, 2023

Portmanteau-Wörter

  

(Rolf-Peter Wille)

 

“Darf man als Dichter ein Wort einfach erfinden?” Die Frage scheint mir naiv zu sein. Wenn sich die Pharmazeuten neue (und meist recht alberne) Begriffe für ihre Pillen ausdenken dürfen, dann dürfen wir Schriftsteller es doch allemal. 

Ich habe mir einmal überlegt, ob es möglich ist, verschiedene Gattungen von erfundenen Wörtern zu finden.  Hier eine vorläufige Liste:

 

1.     Quatschwörter 

2.     “Onomatopoëische” (klangliche) Vefremdungen:  In einem zeitgenössischen Gedicht las ich neulich das Wort “murmurmeln”.  Sehr ausdrucksstark! 

3.     Metaphorische Umkehrungen:  Wenn Heimito von Doderer z.B. in den “Merowingern” schreibt, daß bestimmte Gäste auf der Party “über- und untergriffig” wurden, kann man das sofort verstehen.  Entsprechend könnte man behaupten, daß je unterwürfiger der Diener dienerte, desto “überwürfiger” reagierte der Minister.  Auch das würde man sofort verstehen.  Dem Satirischen sind solche Erfindungen sicher willkommen (solange die Leser es nicht zu “satierisch” nehmen…) 

4.     Pseudo-Fremdwörter:  “Dit sap, vraiment, ist quite fatali.  The crocofeel so mali mali” (“fatali” = fatal, “mali” = schlecht)  

5.     Am interessantesten für Gedichte sind sicherlich die sogenannten “Portmanteau- Wörter” (zwei oder mehrere Bedeutungen sind - wie in einem Koffer - zusammengepackt):  Der Jesuit wirkte recht fromm und “geschleidig” (aus “geschmeidig” und “schleimig”).  Hier gibt es nun sicher Erfindungen, die so subtil sind, daß man ihre Herkunft nicht unmittelbar erkennen kann.  Sie müssen auch klanglich wirken.  Der “Vater der Portmanteau- Wörter” ist sicher Lewis Carroll (“Alice in Wonderland”).  Hier ist die erste Strophe vom “Jabberwocky” (1872): 

'Twas brillig, and the slithy toves
Did gyre and gimble in the wabe;
All mimsy were the borogoves,
And the mome raths outgrabe.’
 

Hier eine deutsche Übersetzung von Robert Scott (“Der Jammerwoch”) 

‘Es brillig war. Die schlichte Toven
Wirrten und wimmelten in Waben;
Und aller-mümsige Burggoven
Die mohmen Räth' ausgraben.’

 

Zwei erfundene Wörter aus diesem einen kurzen Gedicht (“chortle”, “galumph”) gehören inzwischen zum normalen englischen Wortschatz.  Alle Achtung!  

Die Wirkung solch erfundener Wörter hängt sehr davon ab, an welcher Stelle des Gedichts sie stehen.  Viele Portmaneau-Worte Carrolls wären in einem anderen Zusammenhang völlig unsinnig, aber sein Gedicht folgt im Versmass, Ton und Inhalt einem bestimmten “Balladen Archetyp” und deswegen können wir es (wenn uns derartige Balladen bekannt sind) instinktiv erfassen. 

 

 

 

 

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