Ausgang
von Fontane (Analyse)
von Rolf-Peter Wille
Ausgang
Immer
enger, leise, leise
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben
Als der letzte dunkle Punkt.
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben
Als der letzte dunkle Punkt.
(Theodor Fontane, 1895)
“Was gibt's hier eigentlich
noch zu interpretieren, zu analysieren?” Die Aussage des kleinen
Gedichts ist eindeutig: Das Leben endet allmählich,
Lebensraum und Aktivitäten
werden eingeschränkt, von
allem gilt es Abschied zu nehmen und zum Schluss bleibt nur noch der
Tod. Okay – nächstes Gedicht!
Doch einen Moment noch – ein
kleiner Punkt noch: Was ist es denn, das uns berūhrt an diesen sechs
Versen? Die Erkenntnis, dass man sich gegen Ende des Lebens
einschränken muss und schließlich
stirbt, sicher nicht. Berūhrt uns Fontanes Wortwahl? Seine
originellen Metaphern? Die “Lebenskreise”, der “dunkle Punkt”?
Nun, ich finde hier nichts Ungewöhnliches.
Die Wortwahl ist ebenso banal wie der prosaische “Inhalt”.
Doch lasst uns zunächst die
Verse in alltägliche Prosa verwandeln:
Die Lebenskreise ziehen sich
leise immer enger.
Das, was prahlt und prunkt,
verschwindet.
Hoffen, Hassen und Lieben
verschwinden
und nur der letzte dunkle Punkt
ist in Sicht geblieben.
Wenn wir nun diese Prosasätze
mit Fontanes Versen vergleichen, so erscheinen seine Ausdrucksmittel
sowohl subtil als auch wirkungsvoll. Bei ihm sind die vier Aussagen
zu einem einzigen Satz zusammengezogen – zum Schluss hin enger –
und der einzige Punkt steht am Ende.
Doch zunächst der Anfang:
“Immer
enger, leise, leise
Ziehen sich die Lebenskreise,”
Ziehen sich die Lebenskreise,”
Die
“gewöhnliche” Wortfolge ist verdreht hier, das Subjekt steht am
Ende. Hört man das Gedicht, ohne es bereits zu kennen, so weiß
man zunächst nicht, worauf sich das “immer enger, leise, leise”
bezieht. Erscheint ein Monster, ein Gespenst, oder ist es die
Schlinge des Stricks, die sich immer enger zusammenzieht? Man möchte
es flüstern und die "Z" und "H"-Laute in "Ziehen
sich die Lebenskreise" verleihen der Sprache etwas geheimnisvoll
Verschwörerisches. "Schwindet hin": Hier sind es eher die
verhauchenden "H"-Laute, die uns etwas schwindsüchtig
anmuten (anmuthen?). Auch kein Satzbeginn ist das. Was schwindet
eigentlich hin? "Was prahlt und prunkt", beides sehr lange
Silben, sich verdunkelnd in den Vokalen und mit sehr prahlerisch
rollenden "Pr"-Lauten. Hier sollte nun, nach dieser
Verbreiterung, das Satzende folgen, doch wieder gibt's nur ein Komma.
Kadenzen hat Fontane vermieden, denn es zielt ja alles auf den Punkt.
Aber nicht in stetigem Tempo! Fühlst Du nicht, die Verlangsamung
("sostenuto") auf "prahlt und prunkt" und wie es
dann langsam nocheinmal sich erhebt vom wiederholten "Schwindet"
aus? Dann aber staut sich die Energie im Stretto " Hoffen,
Hassen, Lieben" –
weitere H-Laute, doch nach vorn ziehend, und genau diese gewonnene
Todeskraft ist es, die uns " Und ist nichts in Sicht geblieben"
mit fatalistischen Akzenten deklamieren lässt, bis wir auf den
letzten dunklen U-Lauten des "Als der letzte dunkle Punkt"
resigniert ritardieren. Tatsächlich könnten der "I"-Klang
der vorletzten mit dem "U"-Klang der letzten kaum stärker
kontrastieren. Auch würde man scheitern, wenn man "der letzte
dunkle Punkt" recht gleitend gleichmäßig und im "Legato"
vortragen wollte. Durch die vielen Konsonanten, "tzt",
"kl", "kt", müssen wir die Worte voneinander
absetzen und mit schwarzen Pausen in einen wachsenden Zeitraum malen.
Und
nach dem Punkt schweigt Ewigkeit.
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