Wortstellung
als Ausdrucksmittel
(Rolf-Peter Wille, 2004, für "gedichte.com")
“Gar oft kein gebahnter Weg, man fuhr bald hüben bald drüben, begegnete und kreuzte sich. Heidegebüsch und Gesträuche, Wurzelstumpfen, Sand, Moor und Binsen, eins so unbequem und unerfreulich wie das andere.”
Schlechte Grammatik: Nicht einmal ein Prädikat enthält der zweite Satz. Wer war der Stümper der’s schrieb? Antwort: Johann Wolfgang von Goethe. Ein Stümper? Mitnichten. Deutlich können wir doch die Postkutschen sehen, wie sie da so kreuz und quer durch’s Gelände wackeln.
Lesen wir ein weiteres Beispiel aus der “Kampagne in Frankreich”, und zwar vom 23. August 1792:
“Mein Diener hatte kaum das Notwendigste ausgepackt, als er, sich in der Stadt umzusehen Urlaub erbat; spät kam er wieder, und des anderen Morgens trieb eine gleiche Unruhe ihn aus dem Hause. Mir war dies seltsame Benehmen unerklärlich, bis das Rätsel sich löste: Die schönen Französinnen hatten ihn nicht ohne Anteil gelassen…” (Zitat aus Süskind, W.E.: “Vom ABC zum Sprachkunstwerk. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1965)
Unmittelbar nimmt Goethes Sprache gefangen. Vor unseren Augen zeichnet er das Bild seines unruhigen Dieners, und wir lachen auf, erleichtert, wenn uns die “schönen Französinnen” als die Ursache seiner Unrast vorgezeigt werden. Welche künstlerischen Mittel benutzt Goethe hier? Schauen wir uns die Hauptworte an: Diener, Stadt, Urlaub, Haus, Benehmen. Nun, recht biedere Gesellen sind’s, alle aus Deutschen Landen, und nichts Bildhaftes oder Originelles strahlt von ihnen aus. Eigene Metaphern hat er sich hier nicht ausgedacht, der Goethe. “Es trieb ihn aus dem Haus”, “das Rätsel löste sich”, “sie hatten ihn nicht ohne Anteilnahme gelassen”: dies sind Klischees. “Ohne Anteilnahme gelassen” mag uns exotisch klingen aber wohl auch nur, weil es veraltet ist. Oder haben hier die “schönen Französinnen” bereits ihren Glanz auf die “Anteilnahme” geworfen?
Nein, die Worte und Metaphern sind’s nicht. Das Bewundernswerte jedoch ist, daß es Goethe hier einzig mit dem Mittel der Wortstellung gelungen ist, die unruhige Stimmung des Bildes zu malen.
Ich werde nun ein kleines Experiment machen - sorry Goethe - und die Sätze seines Paragrahen in konventionelle Schemata zwingen:
“Mein Diener hatte kaum das Notwendigste ausgepackt, als er sich Urlaub erbat, um sich in der Stadt umzusehen. Er kam spät wieder, und des anderen Morgens trieb ihn eine gleiche Unruhe aus dem Hause. Dies seltsame Benehmen war mir unerklärlich, bis sich das Rätsel löste: Die schönen Französinnen hatten ihn nicht ohne Anteilnahme gelassen…”
So, jetzt klingt es doch bereits wie ein braver Report! Wenn wir nun beide Beispiele lesen, zunächst “Fälschung” dann Original, so werden wir fühlen, daß im Original nur der letzte Satz mit den (unsoliden?) “Französinnen” einem soliden Deutschen Satzbau entspricht. Die operativen Eingriffe, die Goethe in den anderen Sätzen vorgenommen hat erscheinen sehr subtil, aber verblüffend ist ihr Effekt (…und so allmählich merke ich nun auch, wie der Satzbau in meinem eigenen Essay sich vom Goetheschen hat anstecken lassen).
“Kaum hatte der Diener das Notwendigste ausgepackt” als Goethe, um Unruhe in diesen “als”-Satz zu bringen, ihn recht mutwillig unter dem Vorwand eines Stadtbesuches unterbricht. Dies verletzt sowohl die gute Sitte - ein anständiger Diener rennt nicht gleich in die Stadt (Trier, übrigens, am 23. August 1791) - als auch die “gute” Grammatik. Es erregt den Leser. Eine etwas hektische, konfuse Stimmung. Dann kam Goethes Diener nicht etwa nur spät wieder sondern “spät kam er wieder”. Einen recht starken Akzent setzt Goethe hier auf das Adverb “spät”, indem er es an den Anfang, den Kopf des Satzes setzt; und dann, “des anderen Morgens”, treibt “die gleiche Unruhe” das Pronomen “ihn” vom Zeitwort “trieb” hinweg und treibt es somit fast schon “aus dem Hause”.
Hier nun reißt Goethe uns gewaltsam aus der Welt seines Dieners. Er selbst ist es, Johann Wolfgang Freiherr von Goethe, der sich nun als “Mir” in den Salon und gegen dieses seltsame Benehmen seines Dieners stellt. Hier, in dem fast schon brutalen Aufeinanderprallen des Herren auf seinen Diener, erhöht Goethe die Spannung, die er dann auf so galant ironisierende Weise mit den “schönen Französinnen” wieder löst - ein Trugschluß würde man sagen, in der Musik.
Die raffinierte Manipulation der Wortstellung dient hier (fast schon wie der unruhige Diener) als rhetorisches Ausdrucksmittel und Goethe gelingt es so recht frisch und munter, uns, seine Leser, in sein Bild zu führen (verführen?), uns darin gefangen zu halten…, und dann sanft wieder hinauszuwerfen. Nicht Mittel der Logik ist die Grammatik hier. Kein braver Report. Ihr rationales Gefüge läßt sich anstecken, infizieren und inspirieren von der Eingebung selbst und versucht nun, das Bild als rhythmische Bewegung mitzuzeichnen.
Verlassen wir unseren geliebten Goethe.
Noch unlogischer benimmt sich die Grammatik, wenn sie mit Metaphern in den Sätzen spielt. Die Wortstellung verbiegt dann nicht nur den Ausdruck der Sprache sondern bestimmt sogar ihren Sinn. Sagen wir zum Beispiel, “der Mensch ist ein Esel” und dann “der Esel ist ein Mensch”, so ist im ersten Falle der Mensch beleidigt, der Esel jedoch im zweiten geadelt. Einwenden mögen wir, daß unsere Metapher ja eine Vereinfachung ist: “Karl benimmt sich wie ein Esel”, meinten wir natürlich. Meinten wir? Quatsch! “Karl ist ein Esel. Basta.” Unsere rhetorische Absicht war die Beleidigung. Durch ein “crescendo” können wir sie sogar noch steigern: “Er ist ein Esel. Ein rechter Esel. Ein kompletter Esel.” Ja, stimmt. “Eins und eins ist zwei. Es ist völlig zwei. Es ist komplett zwei.” Das ist Unsinn, völliger Unsinn, kompletter Unsinn (Ave Logica…, gratia plena, …benedicta tu in mulieribus…)
Nun möchte ich einen Satz untersuchen, den ich hier im Sprechzimmer gefunden habe:
“Grammatikvergewaltigung ist ein absolut lächerlicher Fehler.” (Zitat aus Macabre, D.: “Die Gebote des dichterischen Guten Stils.”)
Metaphorisch ist der Satz und die rhetorische Absicht ist hier die Drohung (“Kinder: Beachtet mir die Regeln der Grammatik!”). Lesen wir den Satz aber etwas langsamer und stellen uns dabei eine Drohgebärde vor, so sehen wir, wie sich die Gebärde im gewaltigen Wort “Vergewaltigung” erschröcklich aufrichtet, dann jedoch, recht lächerlich, im abstrakten “Fehler” schlapp in sich zusammensinkt. Die kernige, kräftig germanische “Gewalt” droht hier zwischen zwei wenig bildhaften Begriffen. Es ist ja nicht die Heilige Jungfrau Maria, die hier (Gott verhüte) vergewaltigt wird. Ein Sprachwissenschaftler möchte nun freilich Harakiri begehen, wenn man ihm eine Schändung der Sancta Grammatica in die Schuhe schöbe (oh jeh, ein schiefes Bild: …Schändung in die Schuhe schieben? Klischee, Klischee, Du tust uns weh…). Dem Pennäler jedoch, und an diesen richtet sich ja die Warnung ganz offensichtlich, wird die Grammatik sicherlich keine liebliche Heilige sein sondern nur eher so eine frigide Domina, und - nun, die hat’s doch wohl verdient - mag er heimlich sogar denken.
Ich habe deswegen in einem Experiment versucht, das Kraftwort an’s Ende zu setzen und der Sancta Grammatica durch Steigerung (die rhetorische Figur nennt sich “gradatio” oder “climax”) einen Heiligenschein “überzustülpen”. Hier ist so ungefähr das Ergebnis:
“Ein verstümmelter Satz verletzt nicht nur die Regeln der Grammatik; die Sprache ist es, unsere Sprache, die Sprache Goethes und Schillers ist es, die Ihr hier vergewaltigt.”
Nun, mit meinem “Goethe und Schiller” bin ich vielleicht schon in’s eitel Pathetische vorgedrungen (zum Glück habe ich nicht “die Sprache unserer Dichter und Denker” gesagt…), aber man spürt hier, daß der Spannungsbogen genau umgekehrt schwingt. Der Satz droht zunächst mit der bildhaften “Verstümmelung”, und dies erschreckt den Leser. In einer “Modulation” gleitet die Metapher nun in eine harmlosere, kältere Beleuchtung: “verletzt die Regeln der Grammatik”. Dies ist die Halbkadenz. Aber jetzt geht’s los. Die lahme Grammatik veredelt sich selbst und nennt sich nun Sprache, durch “unsere Sprache” wird sie persönlich, privat, unser Eigentum, und dann hebe ich sie frech in den Himmel Goethes und Schillers. So, nun lohnt sich ja eine Vergewaltigung. Und genau in diesem Moment spricht der Satz den Leser dann plötzlich direkt an: “die Ihr hier vergewaltigt.”
Sehr
angenehm ist dies Beispiel nicht und die Drohung als rhetorische Absicht mag
uns abstossen. Aber dies ist nicht das
Thema meiner Untersuchung. Ich wollte
nur an einem Beispiel aufzeigen, wie sich die “dispositio”, die rhetorische
Gestaltung, die Wortstellung, die Modulation der Metaphern selbst an der
rhetorischen Absicht (Redeziel) entzündet.
Interessant ist auch, daß das resultierende metaphorische Bild kein
statisches Bild ist sondern eher eine Szenerie, deren Beleuchtung sich ständig
ändert. Auch musikalisch entwickelt sich
der Verlauf der Sprache hier. Die rhetorische Klimax (Eine Reihe von Ausdrücken
wird in steigender Anordnung gebraucht, wie "veni, vidi, vici", oder
"Sprache, unsere Sprache, Sprache Goethes und Schillers") hat einen
starken Richtungswillen auf’s Ende, genau wie in der Musik die Kadenz am Ende
einer Periode auf den Schlußakkord hinzielt.